Buxtehude-Harsefelder Eisenbahnfreunde e.V.

 

Peter Schütt über

Eine Reise in die Vergangengheit

Auf Spurensuche mit dem histroischen WUMAG-Triebwagen im ehemaligen Ostpreußen vom 07. bis 17. August 1997


Die Vorgeschichte

Im Jahre 1979 wurde der Verein der "Buxtehude-Harsefelder Eisenbahnfreunde e.V." gegründet. Vereinsziel war die betriebsfähige Restaurierung von stillgelegten, jedoch technisch-geschichtlich interessanten Schienenfahrzeugen. Ein herausragendes Exponat war ein Triebwagen mit 70 Sitzplätzen aus dem Jahre 1926, gebaut von WUMAG in Görlitz. Seine Indienststellung erfolgte 1927 in der Reichsbahndirektion Königsberg, zugeordnet wurde er dem Betriebswerk Allenstein.

Schon in den 1980er Jahren wurde im Verein mehr oder weniger laut darüber nachgedacht: könnte, sollte, man kann doch mal versuchen, usw. eine Reise mit diesem Veteranen in sein erstes Einsatzgebiet zu organisieren. Es sollte jedoch ein Traum bleiben: Der Königsberger Raum war aus strategischen Gründen von den Russen gesperrt, Polen und die DDR waren erfahrungsgemäß politisch, aber auch bahntechnisch nicht bereit, solche Aktivitäten zuzulassen.


Die Geschichte

Anfang der 1990er Jahre änderte sich das Klima zu unseren Nachbarn im Osten. Man konnte wieder ohne gegenseitiges Misstrauen miteinander reden. Polnische Freunde knüpften die Kontakte zur polnischen Eisenbahn und halfen damit, unsere sprachlichen Schwierigkeiten zu überwinden. Aber auch hier gab es viel zu tun: Mit einem nicht international zugelassenen Museumsfahrzeug in das Ausland fahren? Ist es überhaupt versichert? Wie organisiert man Grenzabfertigung, d.h. Passkontrolle? Wo geht es eisenbahntechnisch über die Grenze? Hinzu kam das Oder-Hochwasser 1997, welches die Übergänge gefährdete.

Seit unserer Rückkehr von dieser eindrucksvollen Reise am 17. August 1997 wissen wir: Die Vorbereitungen und die Durchführung der Reise waren erfolgreich!

Am 07. August 1997 morgens um 07.30 Uhr begann unsere Reise von Harsefeld über Berlin, Küstow nach Gorzow Wlkp (Landsberg/Warthe). Im Hotel Begrüßung durch den Reiseleiter des Reisebüros WARS.

Bei Temperaturen um 30° und strahlendem Sonnenschein ging es am nächsten Tag weiter auf der ehemaligen Ostbahn Berlin - Königsberg - Memel Richtung Piła (Schneidemühl), Tczew (Dirschau) über Weichsel und Nogat nach Malbork (Marienburg) und als Ziel am 2. Tag erreichten wir abends Olsztyn (Allenstein).

Allenstein, die "Hauptstadt" Masurens, fast 1.000km von Harsefeld entfernt, war für drei Nächte Herberge unserer Reisegesellschaft. 70 Jahre nach seiner Indienststellung war der "Kurier Mazurskie" - wie wir unseren Sonderzug genannt hatten - an seinen ersten Einsatzort zurückgekehrt. Großzügig organisierten die polnischen Eisenbahner auf freier Strecke die Möglichkeit, an historischer Stelle Fotos nachzustellen. So auch auf dem Alle-Viadukt. Das Interesse der Fachleute an dem Fahrzeug war groß, ihre Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft bemerkenswert.

Der überwiegende Teil unserer Reisegesellschaft machte derweil einen Stadtrundgang, andere nutzten die Möglichkeit Stätten ihrer Vorfahren und ihrer Kindheit aufzusuchen.

Ein weiterer Tag führte den "Kurier Mazurskie" nach Mikołajki (Nikolaiken) am Spirding-See. Die wunderschöne Landschaft Masurens präsentierte sich bei strahlendem Sonnenschein. Die gepflegten Acker, zum Teil wurde das geerntete Getreide noch in Hocken aufgestellt - Kindheitserinnerungen wurden wach - verfehlten nicht ihren Eindruck. Die vielen Störche ließen sich nicht hindern, auch scharenweise hinter den lauten Mähdreschern Nahrung zu suchen.

Nach Stadtrundgang und Schiffsfahrt auf dem Spirding-See - mit dem "Stinthengst" unter der großen Seebrücke - fuhren wir bei untergehender Sonne zurück nach Allenstein.

Wieder hieß es Kofferpacken. Die Fahrt ging Richtung Norden, nach Braniewo (Braunsberg), heute Grenzstadt zwischen dem polnischen und dem russischen Teil Ostpreußens und in das einige Kilometer weiter gelegene Frombork (Frauenburg) am Frischen Haff. Von hier aus sollte der Tagesausflug in das 50km entfernte Kaliningrad (Königsberg) stattfinden. Der restliche Tag wurde für eine kurze Schiffsfahrt auf dem Frischen Haff genutzt. Eindrucksvoll war der Blick auf Frauenburg mit dem mittelalterlichen Dom und dem anschließenden Rundbau, in dem Kopernikus wirkte.

Umstellt von polnischen Grenzbeamten stand am nächsten Morgen der "Kurier Mazurskie" im Grenzbahnhof Braniewo. Nachdem alle Teilnehmer visa- und passmäßig abgefertigt waren, durfte eingestiegen werden. Das Abenteuer konnte beginnen! Nach ca. 12km Fahrt auf der ehemaligen Ostbahn stand mitten im Wald auf freier Strecke auf einem provisorischen Bahnsteig eine Gruppe von Uniformierten: Zoll- und Grenzbeamte und Eisenbahner. Freundlich wurden wir abgefertigt. Formulare, die wir ausfüllen mussten, wanderten nach Sichtwerk im Papierkorb. Im Gegensatz zu Polen liegt die Landwirtschaft hier brach. Ein trauriger Anblick, wenn magere Kühe durch Dorngestrüpp irren, um etwas fressbare zu finden.

Dann kam Kaliningrad, das ehemalige Königsberg, in Sicht. Nach zerfallender Vorstadt, Kirchenruinen und Industriebrachen rückte der 1928 erbaute und unbeschädigte Hauptbahnhof in das Blickfeld. Angekündigt waren wir als Sonderzug aus Berlin - natürlich kyrillisch - und hielten pünktlich in Übereinstimmung mit der angezeigten Uhrzeit.

Auch wer das alte Königsberg nicht kennt, dem deprimierte diese nicht nur durch den Krieg zerstörte Stadt, sondern auch die erfolgreich durchgeführten Maßnahmen der neuen Herrscher, die Überbleibsel der Vergangenheit zu löschen. Eine geschundene Stadt. Das änderte auch nicht der Wiederaufbau des Doms und die offizielle Erinnerung an Immanuel Kant.

Ermüdet und deprimiert traten wir die Rückfahrt an, aber unsere Träume aus den 80er Jahren waren Realität geworden.

Die Rückfahrt aus Königsberg wurde am nächsten Tag über die Bäderbahn am Frischen Haff nach Elblag (Elbing) bis Gdansk (Danzig) fortgesetzt. Eine unglaublich lebendige Stadt, zumal der 1000jährige Geburtstag dieser alten Hansestadt gefeiert wurde. Für die hervorragend historisch wieder aufgebaute Altstadt kann man den Polen den Respekt nicht versagen.

Zwei Tage verbleiben noch für die Rückfahrt. Eine harmonische Reisegesellschaft hat wesentlichen Anteil am Gelingen dieser Reise gehabt. Mit einer Übernachtung in Szczecin (Stettin) kehrten wir über Neubrandenburg und Schwerin am 17. August 1997 nach Harsefeld zurück.


Der Wumag in Berlin-Lichtenberg

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