Dieter-Theodor Bohlmann über
Die Entstehung, Geschichte und Entwicklung der BHE
Erneuerungen 1979-1988
Auf der besagten Jubiläumsfeier wird der Gedanke geboren, die Schiene der Bevölkerung wieder zugänglich zu machen und den alten, ziemlich abgewirtschafteten Triebwagen für diese Aufgabe herzurichten. Weil dieses Vorhaben die personellen und technischen Möglichkeiten der BHE überfordert, nehmen sich 20 Eisenbahnfreunde der Aufgabe an. Sie gründen auf Initiative von K. R. Mallien am 07. August 1979 den Verein "Freunde der Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn (BHEF)". Sie wollen den Eisenbahngedanken fördern, den WUMAG-Triebwagen umfassend und originalgetreu restaurieren und einen planmäßigen Wochenendbetrieb ab 01. Juni 1980 aufnehmen.
Unter der Leitung von D.-Th. Bohlmann gelingt es, das Fahrzeug in sieben Monaten innen und außen gründlich aufzuarbeiten. Bei frostiger Kälte im ungeheizten Schuppen werden die Wände neu vertäfelt, der Boden neu ausgelegt, das Gestühl aufgearbeitet, die Dachhaut erneuert, die Dachkühler rekonstruiert und schließlich sämtliche Innen- und Außenflächen neu lackiert.
Am 31. Mai 1980 ist das Erstaunen der geladenen Ehrengäste groß, als der weinrot-cremefarben lackierte Triebwagen festlich bekränzt unter den Klängen eines Musikzugs zur Vorstellungsfahrt auf dem Harsefelder Bahnhof bereitgestellt wird. Durch kräftige Werbung und mit Unterstützung der Presse wird der Museumsbetrieb schnell bekannt. Der Verein weitet das Angebot in Zusammenarbeit mit der DB ständig aus. So werden Bahnhofsfeste in Harsefeld und Fahrten in das Teufelsmoor nach Worpswede veranstaltet. Touren auf die Nordseeinsel Sylt, an die Ostsee, in die Göhrde und in die Rhön steigern die Beliebtheit des WUMAG-Triebwagens und heben den Bekanntheitsgrad der BHE. Um der Nachfrage besser entsprechen zu können, erwirbt der Verein einen Güterzugbegleitwagen für Fahrradtransporte und den Wagen VB 824 der Bremervörde-Osterholzer Eisenbahn. Dieser 1937 bei Talbot in Aachen gebaute Beiwagen wird im Winter 1984/85 unter der Leitung von Peter Schütt und mit tatkräftiger Unterstützung der Ausbesserungswerke Harburg und Neumünster so rechtzeitig aufgearbeitet, dass er mit dem Triebwagen am 15. Mai 1985 die große Reise nach Nürnberg zur 150 Jahr-Feier der deutschen Eisenbahn antreten kann. Beide Fahrzeuge beteiligen sich an den historischen Paraden und werben anschließend auf der großen Eisenbahnausstellung in Bochum-Dahlhausen für die Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn und den Landkreis Stade. Mittlerweile ist die BHE bundesweit bekannt und gilt als die Eisenbahn schlechthin.
Die Arbeit des Vereins beschränkt sich aber nicht nur auf die Pflege der Fahrzeuge und die Durchführung der Fahrten. Er kümmert sich auch um die Unterhaltung der Bahnhöfe und um das Freischneiden der Strecke von Busch- und Krautbewuchs. Mit Unterstützung einer Brauerei beschafft er neue "französisch" wirkende Stationsschilder mit weißen Lettern auf blauem Grund. Der Haltepunkt Weißenfelde erhält nach langen Jahren des Verfalls ein neues hölzernes Wartehäuschen, das die Gemeinde Harsefeld aufstellen lässt. Der Haltepunkt Birkenhain bei km 2,4 im Neukloster Forst ersetzt den aufgelassenen Haltepunkt Grünerwald.
Kurz nach der Aufnahme des Museumsbetriebs legen Brandstifter das Ruschwedler Bahnhofsgebäude in der Nacht vom 29. auf den 30. August 1980 in Schutt und Asche. Das Haus steht seit Monaten leer und sollte für eine kinderreiche Familie hergerichtet werden. Da es für den Bahnbetrieb keine Bedeutung mehr hat und in unmittelbarer Nähe ein wertvolles Kleinbiotop liegt, wird auf den Wiederaufbau verzichtet und das Gelände eingeebnet. Die Güterrampe am Harsefelder Empfangsgebäude ist arg verfallen und darf deshalb für den Museumsbetrieb nicht genutzt werden. Der Verein möchte an dieser Stelle im Einvernehmen mit der Gemeinde einen neuen Bahnsteig errichten, kann ihn aber mit eigenen Mitteln nicht erstellen. Der Landkreis, der Verein zur Förderung der Naherholung im Umland Hamburgs und die Gemeinde Harsefeld übernehmen daraufhin die Finanzierung des Bahnsteigneubaus, der im Oktober 1983 in drei Wochen durchgezogen wird. Die alte Bahnhofswaage wird ausgebaut und in das Stader Technik- und Verkehrsmuseum gebracht. Die verfallene Güterrampe verschwindet gänzlich. An ihrer Stelle entsteht nach Plänen von Architekt Peter Schütt und unter Bauleitung von D.-Th. Bohlmann ein neuer gepflasterter Bahnsteig mit breiter Zugangstreppe, Wartehäuschen und Grünanlage. Auch die Rampe am Güterschuppen wird neugestaltet. Seitdem kann der Triebwagenzug auf ganzer Länge bequem bestiegen werden.
Die Diesellokomotive 223 muss nach einem Kurbelzapfen- und Treibstangenbruch abgestellt werden. Sie steht monatelang in Harsefeld-Süd herum und wird schließlich am 2. November 1984 auf einen Tieflader gehoben und in das Stader Technik- und Verkehrsmuseum gebracht. Das gleiche Schicksal widerfährt dem VB 801, der nach seiner Ausmusterung im Jahr 1975 an der Ladestraße in Buxtehude-Süd als Jugendraum diente. Er verkommt mehr und mehr zu einem Schandfleck, bis die Betriebsleitung im Herbst 1985 die Überführung nach Harsefeld verfügt. Peter Schütt kauft das Fahrzeug und lässt es im Januar 1986 in das Stader Museum zur Aufbereitung bringen. Der der Gleisbaurotte als Baubude dienende TA 0320 wird schon 1981 endgültig aus dem Verkehr gezogen. Während der Aufbau den Weg alten Eisens geht, wandert das Fahrgestell in den Besitz der FdE Hamburg. Doch es gibt auch einen Neuzugang. 1980 kauft die Gesellschaft aus den Altbeständen der Deutschen Bundesbahn einen Schienenkraftwagen (SKL) mit Anhänger. Er erleichtert seitdem dem Personal die Arbeit bei der Streckenunterhaltung, zumal er über einen schwenkbaren Kran verfügt.
Mit dem Einstieg in das Speditionsgeschäft hat die Gesellschaft wenig Glück. Im September 1979 erwirbt die Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn 50 Prozent Geschäftsanteile an der Buxtehuder Spedition Otto Vieth GmbH. Diese Beteiligung erscheint sinnvoll, da die Bahn durch den Straßentransport ihr Frachtaufkommen ausweiten will. Die Spedition errichtet mit Unterstützung der BHE auf dem Bahnhof Ottensen ein großes Büro- und Lagergebäude in der Hoffnung, der erste Betrieb in einem neuen Gewerbegebiet zu sein, das die Stadt Buxtehude angeblich ausweisen will. Doch daraus wird nichts, weil eine Bürgerinitiative und der Buxtehuder Rat von einem Gewerbegebiet nichts wissen wollen. So können die Speditionserlöse die drückende Zinslast aus der Verschuldung beim Bau der jetzt viel zu großen Halle nicht auffangen. Der drohende Konkurs kann im August 1981 nur dadurch abgewendet werden, dass die BHE die restlichen Anteile von Otto Vieth erwirbt und sich damit zur Alleininhaberin macht. Der von der BHE eingesetzte neue Geschäftsführer erkennt schnell, dass eine Sanierung nur mit erheblichen öffentlichen Zuschüssen möglich ist. So machen die Gesellschafter der Spedition ein rasches Ende, melden am 17.08.1982 den Konkurs beim Buxtehuder Amtsgericht an und kaufen im Mai 1983 das Speditionsgebäude aus der Konkursmasse, das von der Firma Pioneer zunächst gemietet und 1988 schließlich erworben wird.
Während sich die Ottensener Unternehmung als Flop erweist, hat die BHE an anderen Orten mehr Erfolg. Die Firma Pickenpack errichtet bei Apensen 1986 einen neuen Betrieb mit Gleisanschluss. In Apensen selbst vergrößern die Saatzucht und die Firma Elbe Obst ihre Anlagen. Die BHE erwirbt dort ein weiteres Lagergebäude und lässt die Ladestraße asphaltieren, damit die neue Rübenverladeanlage reibungslos arbeiten kann. Auch der Harsefelder Bahnhof erhält nach Abbruch der alten Rübenverladeanlage ein neues fahrbares Gerät mit Sandabscheider. Das Gelände bekommt ebenfalls eine Asphaltdecke. Die Saatzucht baut eine neue Fahrzeugwaage. In Buxtehude lässt die Nudelfabrik Birkel 1983 ein 30 Meter hohes Hochregallagerhaus unmittelbar am BHE-Gleis errichten. Alle diese Neubauten und Erweiterungen sind bahnbezogen. Die Firmen setzen also auf den Fortbestand der Schiene.
Leider scheint dieser Fortbestand am Anfang dieses Jahrzehnts nicht mehr gewährleistet zu sein. Trotz zunehmenden Reparaturaufwands häufen sich die Mängel an dem seit 1928 liegenden Hauptgleis. Abgefahrene Profile, rundgewalzte Schienenstöße, verbrauchte Schwellen, ausgeschlagene Laschenbohrungen und ständig auftretende Schienenbrüche beeinträchtigen die Betriebssicherheit derart, dass die aufsichtsführende Osthannoversche Eisenbahn AG (OHE) die Betriebseinstellung ankündigt, falls das Gleis nicht durchgreifend saniert wird. Den Anlass zum Handeln liefert ein spektakulärer Unfall am 14. April 1980. Fünf von 28 Güterwagen springen auf der Fahrt von Buxtehude nach Harsefeld beim Passieren der stark befahrenen Bundesstraße 73 aus dem Gleis und blockieren die Hauptverkehrsader des Landkreises bis in die späte Nacht. Zum Glück kommen keine Menschen zu Schaden, auch der Sachschaden bleibt gering. Der mit bestem ostfriesischen Humor ausgestattete Betriebsleiter erzählt der Lokalpresse, die "Aprilhitze" habe die Gleise verbogen, doch daran mögen nur Naive ernsthaft glauben.
Am 6. März 1982 beschließt die Gesellschafterversammlung einstimmig, einen Teil der Gleisanlagen mit einem Investitionsaufwand von 3 Millionen DM in den Jahren 1982 bis 1985 abschnittsweise zu erneuern und die erforderlichen Mittel als Kapitalzuschüsse bereitzustellen. Der Beschluss wird dadurch erleichtert, dass der Aufbaufonds der Gemeinsamen Landesplaung Hamburg/Niedersachsen einen Zuschuss von sechshunderttausend DM beisteuert. Im Zuge der Gleiserneuerung kommen weitere Zuschüsse des Landes Niedersachsen in Höhe von 600.000,00 DM hinzu. Am 18. Juni 1986 wird die Resterneuerung bis 1988 beschlossen. Sie kostet noch einmal 2,4 Millionen DM und wird durch Zuschüsse des Landes Niedersachsen mit 600.000,00 DM und des Aufbaufonds mit 300.000,00 DM unterstützt.
Mit Hilfe moderner Baumaschinen gehen die Arbeiten zügig voran. Das alte Gleis samt Schwellen und Sandbettung wird abgeräumt und als Altmaterial verkauft. Das "neue" Gleis besteht aus aufgearbeiteten schwedischen Profilen der Form SJ 50, die endlosverschweißt auf neuen teerölgetränkten Buchenschwellen mit Federnägeln verlegt sind. Das Gleis wird auf ganzer Länge eingeschottert. Seine Dimensionierung entspricht jetzt allen Anforderungen, die die Zukunft an die Bahn stellen wird. Wie wird diese Zukunft aussehen? Die Bundesbahn hat im Elbe-Weser-Dreieck längst mit dem Rückzug aus der Fläche begonnen. Die Strecke von Bremervörde über Harsefeld nach Buchholz ist ab Hollenstedt abgebaut, der Güterverkehr auf dem Reststück seit August 1988 aufgegeben. Die Bahnlinie von Bremervörde nach Zeven ist stillgelegt und dient als Abstellgleis für ausrangierte Güterwagen. Die Strekce Stade - Cuxhaven wird abschnittweise eingleisig zurückgebaut. Der Personenverkehr auf der Trasse Stade-Bremervörde-Bremerhaven ist akut stilllegungsgefährdet.
Diese Entwicklung, die die ohnehin wirtschaftsschwache Region zwischen Elbe und Weser besonders hart trifft, wird von der Landesregierung und den Landkreisen jedoch nicht hingenommen. Nach den vorliegenden Plänen, die bereits vom Bundesverkehrsminister abgesegnet sind, soll die Ringlinie Harburg-Cuxhaven-Bremen-Harburg weiterhin von der Bundesbahn betrieben werden, während eine neu zu gründende Regionalbahngesellschaft die Strecken Stade-Bremervörde-Bremerhaven, Bremervörde-Hollenstedt, Bremervörde-Osterholz-Scharmbeck und Buxtehude-Harsefeld übernehmen soll. Als Träger sind die fünf betroffenen Landkreise, ihre NE-Bahnen, die Deutsche Bundesbahn und die öffentlichen Busbetriebe vorgesehen. Diese neue Gesellschaft soll auch den gesamten Busverkehr und die Stückgutversorgung durchführen. Das Konzept beinhaltet eine Neuordnung der Strecken. Es wird für den Personenverkehr zwei Magistralen geben, nämlich Stade-Bremervörde-Bremen und Bremerhaven-Buxtehude-Neugraben. Die Linie von Bremerhaven nach Buxtehude soll außerdem den starken Containerverkehr zwischen den Seehäfen Bremerhaven und Hamburg aufnehmen.
Noch wird verhandelt, denn für die Gründung sind 30 Millionen DM erforderlich. Die Bundesbahn sperrt sich, weil sie rund 19 Millionen DM aufbringen soll für ein Projekt, das ihren bisherigen Absichten widerspricht. Die Zukunft wird zeigen, ob aus diesen Plänen Wirklichkeit wird. Für die Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn erfüllt sich ab dem 16. August 1988 bereits ein Teil dieses Projektes: Sie übernimmt die Bedienung der Bahnkunden an der DB-Strecke Hesedorf-Hollenstedt zwischen Brest-Aspe (km 52,2) und Beckdorf (km 70,3). Alles spricht dafür, dass unsere "Kleinbahn" nach einem Jahrzehnt der Erneuerung ein leistungsstarker unverzichtbarer Partner für Landwirtschaft, Gewerbe und Naherholung in der letzten Dekade vor der Jahrhundertwende bleiben wird.